Mit der 3D-Brille in die Nanowelt

Immer kleiner werden die Komponenten, welche in modernen, leistungsfähigen Werkstoffen deren Eigenschaften maßgeblich definieren. So sind es zum Beispiel in glaskeramischen Kochfeldern winzige Kristalle mit Ausdehnungen von gerade einmal 30-50 nm, die dafür sorgen, dass das Kochfeld sich bei Erwärmung nicht ausdehnt und auch nicht durch Kälteschock springt, wenn zum Beispiel kaltes Wasser auf die heiße Herdplatte gelangt.

Röntgenmikroskop Materialforschung Fraunhofer IMWS
© Fraunhofer IMWS
Das Röntgenmikroskop ZEISS Xradia 810 Ultra wird künftig in Halle zur Materialforschung genutzt.

Beim Design solcher und ähnlicher Werkstoffe stellt sich oft die Frage: Wie kann man diese winzigen Struktureinheiten sichtbar machen, um sie zu analysieren? Üblicherweise greift man in solchen Fällen zu Methoden der Elektronenmikroskopie. Dies setzt aber eine aufwändige Präparation der Probe voraus und liefert letztlich nur ein zweidimensionales Schnittbild eines sehr kleinen Volumens. Oft aber ist gerade die Information über die dreidimensionale Verteilung solcher Strukturen in größeren Volumina, ein Tomogramm also, von hoher Bedeutung.

Herkömmliche Labor-Röntgentomographen erreichen eine Auflösung von typischerweise wenigen Mikrometern, bilden also zu grob ab, um kleinste Kristalle, nanoporöse Strukturen und dergleichen abzubilden. Bisher gab es nur an Teilchenbeschleunigern die Möglichkeit zur Röntgentomographie mit Nanometer-Auflösung – der Zugriff auf diese Großgeräte ist jedoch stark begrenzt, sodass längst nicht alle Analysewünsche auf diese Weise bedient werden können.

Seit Kurzem bieten Röntgenmikroskope die Möglichkeit, solche Messungen auch im Labor und damit nahe an der Materialsynthese oder -modifikation durchzuführen. In enger Zusammenarbeit mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gelang es, im Rahmen einer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgelobten Großgeräteinitiative Fördermittel für ein solches Gerät einzuwerben – das Röntgenmikroskop CARL ZEISS Xradia 810 Ultra. Dieses löst in Volumina von 64³ µm³ Details von 150 nm Größe und in Volumina von 16³ µm³ 50 nm Größe auf und steht nun am Fraunhofer IMWS an einem der weltweit ersten Standorte für höchstauflösende Röntgentomographie zur Verfügung.

Für die Erzielung optimaler Ergebnisse müssen die zu untersuchenden Proben in eine optimale Geometrie gebracht werden. Dazu werden unter Nutzung der microPREPTM  rotationssymmetrische Probenabschnitte durch Ultrakurzpulslaserbearbeitung in kürzester Zeit artefaktfrei und individuell erzeugt.

Der Schwerpunkt der Forschung liegt im Bereich glasiger und glaskeramischer Werkstoffe. Ganz neue Perspektiven zur Betrachtung und Auswertung der Datensätze ergeben sich den Fraunhofer-Forschern übrigens durch die parallele Anschaffung eines Virtual-Reality-Brillen-Systems, das den Anwendern die Möglichkeit bietet, sich virtuell durch ihre Proben zu bewegen und das Gefüge zu analysieren.

3D-Rekonstruktion von Nickel-Nanokristallen, welche durch einen Redoxprozess aus einem Glas ausgeschieden wurden. Der typische Kristalldurchmesser beträgt ca. 200 nm.

3D-Rekonstruktion von Effektpigmentpartikeln in einem Polymerlack. In einem Zylinder von 64 µm Durchmesser ist die räumliche Anordnung zugänglich.

3D-Rekonstruktion von Yttrium-Disilikat-Kristallen, welche durch Oberflächenkristallisation aus einem MgO/Al2O3/SiO2-Glas ausgeschieden wurden. Die Kristalle wachsen in einer für die TEM-Untersuchung dünn geschliffenen Probe von unten in das Glas. Im Gesichtsfeld von 64³ µm³ ist klar ein Mikroriß erkennbar.