Adaptiver Schaum auf nachhaltiger Basis

Schaum Gerät
© Fraunhofer IMWS
Der adaptive Schaum passt sich seiner Umgebung an.
Pflanze Biene
© Fraunhofer IMWS
Ölpflanzen können zur Gewinnung technischer Öle in der Schaumherstellung genutzt werden und können die Lebensbedingungen von Insekten verbessern.

Der iberische Drachenkopf (Lallemantia iberica) hat zwei wichtige Eigenschaften, die ihn zum Untersuchungsgegenstand am Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS machen: Zum einen enthält sein Öl viel Linolensäure, das macht ihn zu einem guten Ausgangspunkt für Bio-Kunststoff auf nachhaltiger Basis. Zum anderen ist er eine anspruchslose Pflanze, die in unseren Gefilden angebaut werden kann und mit seinen Blüten beispielsweise Nahrung für Bienen bietet. Wird er zur Produktion von Biopolymeren verstärkt angebaut, kann er also auch einen Beitrag gegen Monokulturen und die Auswirkungen der industriellen Landwirtschaft auf die Lebensbedingungen von Insekten leisten.

Gemeinsam mit der Altermann GmbH und dem Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP wollen die Forscherinnen und Forscher in Halle innerhalb von drei Jahren einen Schaum entwickeln, der über eine deutlich bessere Ökobilanz verfügt als herkömmliche Polymerschäume, etwa aus Polystyrol oder Polyurethan, für deren Herstellung viel Energie und Erdöl benötigt werden. Das Material der Wahl im nun begonnenen Forschungsvorhaben ist stattdessen nachwachsend: verschiedene Pflanzenöle mit einem hohen Anteil der mehrfach ungesättigten Linolensäure. Diese werden epoxidiert und auf ihre Eignung als Werkstoff für einen neuartigen Schaum geprüft. Am Ende des Projekts soll ein Prototyp existieren, der die Leistungsfähigkeit des Materials nachweist.

Zwei Aspekte sind den Projektpartnern besonders wichtig. Erstens soll die Nachhaltigkeit der eingesetzten Materialien möglichst ganzheitlich bewertet werden. »Um die verwendeten Werkstoffe in dieser Hinsicht wirklich vergleichen zu können, ist eine Gesamtbetrachtung von der Herstellung der Materialien über Fertigung und Einsatz bis hin zur Verwertung am Ende des Lebenszyklus entscheidend. Dieses sogenannte Life Cycle Assessment werden wir im Rahmen des Projekts durchführen«, sagt Nicole Eversmann, die die Aktivitäten am Fraunhofer IMWS betreut. Deshalb sollen bei dem zu entwickelnden Schaum auch biogene Härter und Additive eingesetzt werden. In Summe soll das neue Material zu 80-100 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen. Der Schaum soll über gute Lagerfähigkeit, geringe Wärmeleitfähigkeit und vermindertes Brandverhalten verfügen, was vielfältige Einsatzmöglichkeiten eröffnet.

Zweitens strebt das Projektteam einen adaptiven und funktionalisierten Schaum an. So soll der Schaum mit ökologischer Materialrezeptur beispielsweise eine einstellbare Aushärtezeit haben oder durch Funktionalisierung über besonders hohe Wärmekapazität verfügen. Große Vorteile bietet ein adaptiver Schaum einerseits im Einsatz, weil er sich in verschiedene Umgebungen einfügt. Andererseits wird der Transport erheblich effizienter: So kann man dem Schaum beispielsweise vor dem Verladen auf einen Lkw verdichten, später am Zielort dehnt er sich dann wieder aus. Mit einer Ladung lässt sich auf diese Weise eine deutlich größere Menge Schaum transportieren, was wiederum Emissionen und Kosten einspart.

Zu den Forschungsaufgaben gehört die quantitative und qualitative Bewertung des neuen Werkstoffs, zudem wollen die Projektpartner durch die Ermittlung der Material- und Prozessparameter die Erstellung eines digitalen Zwillings im Rahmen des Material Data Space (MDS) ermöglichen. Auch die notwendigen Herstellungsprozesse haben sie im Blick: »Wir werden darauf achten, dass der Schaum sich mit herkömmlichen Technologien oder kleinen Anpassungen daran herstellen lässt. So können Unternehmen, die ihren Kunden ein nachhaltiges Produkt anbieten möchten, das neue Material schnell mit ihren bestehenden Anlagen fertigen«, sagt Eversmann.

Dass durch den Einsatz von Drachenkopföl zur Schaumherstellung womöglich auch Zufluchtsorte für Insekten geschaffen werden, ist ein willkommener Nebeneffekt. Die Pflanze bietet in ökologischer Hinsicht aber noch einen Pluspunkt. Sie kann in der Region angebaut werden, es gibt also keine langen Transportwege. »Wenn ich den Carbon Footprint eines Produkts wirklich senken will, muss auch das berücksichtigt werden«, sagt Eversmann.