Fraunhofer CEM nimmt Arbeit auf: Die Ökonomik der Werkstoffe für den Standort Deutschland im Blick

70 Prozent aller neuen Erzeugnisse in Deutschland basieren auf neuen oder weiterentwickelten Werkstoffen. Doch welche Werkstoffe brauchen Wirtschaft und Gesellschaft heute und in Zukunft? Antworten darauf liefert das Fraunhofer-Center für Ökonomik der Werkstoffe CEM. Die neue Einrichtung wird zur Schnittstelle zwischen industriellen Herausforderungen wie Digitalisierung, Materialeffizienz oder beschleunigten Innovationszyklen einerseits und den Strategien der Werkstoffforschung andererseits. Das Fraunhofer CEM wird Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zu Fragen des effizienten Rohstoff- und Materialeinsatzes und nachhaltigen Wirtschaftens beraten und damit zur langfristigen Sicherung von Standortvorteilen in Deutschland und Europa beitragen.

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© Fraunhofer IMWS
Am künftigen Standort am Friedemann-Bach-Platz in Halle (Saale) wird noch gebaut. Die CEM-Wissenschaftler PD Dr. Christian Growitsch, Prof. Dr. Ulrich Blum und Prof. Dr. Manfred Füting (von links) werden die Regale bald mit Publikationen zur Werkstoffökonomik füllen.

»Bei der effizienten und nachhaltigen Rohstoffnutzung sowie beim Bedarf an zukunftsfähigen Werkstoffen steht die Industrie vor enormen Herausforderungen. Neue, smarte Werkstoffe illustrieren dies im Zeitalter von Industrie 4.0 ebenso wie Geschäftsmodelle rund um On-Demand-Produktion und individualisierte Serien bis Losgröße 1«, erklärt Prof. Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft. »Die sich nun eröffnenden Entwicklungspfade müssen systematisch identifiziert werden, um alle Potenziale voll auszuschöpfen. Mit dem Fraunhofer CEM schaffen wir einen Ansprechpartner, der wirtschaftliche und technisch-naturwissenschaftliche Aspekte gleichermaßen in den Blick nimmt und somit nachhaltige Wertschöpfungssysteme im globalen Maßstab ermöglichen kann.«

Das Forscherteam wird geleitet von den Direktoren Prof. Dr. Ulrich Blum als Gründungsdirektor seitens der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) sowie Prof. Manfred Füting und PD Dr. Christian Growitsch seitens des Fraunhofer-Instituts für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS. Es besteht aus Materialwissenschaftlern und Ökonomen und führt so Expertise aus der Werkstoffforschung und den Wirtschaftswissenschaften zusammen. Mit dieser Kombination können von Anfang an Werkstoffdesign, Produktdesign und die Verwendung von Produkten am Ende ihrer Lebenszeit gleichzeitig wirtschaftlich und technisch optimal gedacht und geplant werden. Wichtige Themenfelder werden dabei Möglichkeiten zur Materialsubstitution auf der Input-Seite (etwa für kritische Importrohstoffe wie Seltene Erden), Analysen und Strategien zu Materialeffizienzsteigerungen, Beratung zur Technologie- und Regulierungsfolgenabschätzung, die Digitalisierung von Werkstoffen und Prozessen sowie die Entwicklung von Re-Use und Recycling im Kontext von Industrie 4.0 sein.

Das Fraunhofer CEM leistet damit wichtige Beiträge zur Umsetzung einer Circular Economy. Die Einrichtung wird am Fraunhofer IMWS in Halle (Saale) angesiedelt und als Forschungsgruppe gemeinsam mit der MLU über ihren Lehrstuhl für Wirtschafspolitik und Wirtschaftsforschung betrieben.

Die anwendungsbezogenen Forschungs- und Entwicklungsprojekte des Fraunhofer IMWS zur Materialbewertung und -entwicklung und zur Technologieoptimierung bilden die werkstoffwissenschaftliche Basis des Fraunhofer CEM. »Wir wollen konkrete Lösungen für die Wirtschaft entwickeln und dabei nicht nur wissenschaftliche Kompetenzen in den Vordergrund stellen, sondern auch die Bedarfe der verschiedenen Branchen berücksichtigen und die passenden Geschäftsmodelle mitentwickeln», sagt Prof. Ralf B. Wehrspohn, Leiter des Fraunhofer IMWS. Daneben betrachte das Fraunhofer CEM auch die politische Strategie für Rohstoff- und Werkstofftechnologien, deren Planungshorizont noch außerhalb des unternehmerischen Kalküls liegt. »Für unseren Industriestandort ist es essentiell, in diesem Bereich frühzeitig die richtigen Weichen zu stellen. Denn wir haben in Deutschland viele werkstoffintensive Wertschöpfungsketten und stark preisvolatile Märkte, die eine hohe Bedeutung für die Industriestruktur und die Planungssicherheit unternehmerischer Investitionen haben«, so Wehrspohn.

In der Vorlaufphase hat die Forschergruppe bereits Bedarfe und Zielgruppen identifiziert sowie erste Forschungsprojekte definiert und bearbeitet. In einem Workshop mit Vertretern aus Industrie, Politik und Wissenschaft wurden weitere Forschungsfragen und Fahrpläne für die nächsten Projekte entwickelt. Im Herbst beziehen die Forscher ihre Räumlichkeiten am Friedemann-Bach-Platz in Halle.