Entwicklung neuartiger Verbundfolien für Glaslaminate

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Die Haftung zwischen Kunststoff und Glasscheibe wird auch mit Kugelfallversuchen analysiert.

Glaslaminate, bei denen zwei Scheiben mit einem Kunststoff verbunden sind, bieten einzigartige Möglichkeiten für die Anwendung im Bauwesen und anderen Bereichen. Bei anspruchsvollen Umgebungsbedingungen kommen die herkömmlichen Materialien aber an ihre Grenzen. Gemeinsam mit Partnern möchte das Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik CSP neuartige, zuverlässige Verbundfolien für solche Anwendungsfälle entwickeln. Durch die gezielte Beeinflussung optischer, thermischer und mechanischer Eigenschaften sollen sie besonders leicht sein und extremer Kälte trotzen.

16 Meter hoch sind die größten Glasfassaden im Hauptquartier von Apple im kalifornischen Cupertino. 174.000 m² Spiegelglas wurden im Burj Khalifa in Dubai verbaut, dem höchsten Gebäude der Welt. Solche spektakulären Architekturen werden durch moderne Glaslaminate und Verbundgläser möglich. Zwei Glasscheiben werden dabei miteinander verklebt. Gängige Materialien für diese Hochleistungswerkstoffe sind beispielsweise Folien aus Kunststoffen wie Polyvinylbutyral (PVB).

Die Projektpartner Folienwerk Wolfen GmbH, Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik CSP und das Institut für Mechanik der Otto-von-Guericke-Universität (OvGU) Magdeburg wollen in einem bis Ende 2021 laufenden Gemeinschaftsvorhaben ein neues Material für solche Anwendungen erschließen. Sie setzen auf Folien auf Basis von Silikonen oder Ethylen-Vinylacetat-Copolymeren (EVA). Solche Verbundfolien wer-den bisher hauptsächlich in der Photovoltaik als Verkapselungsmaterial in Solarmodulen eingesetzt, bieten aber auch für Architektur- und Bauanwendungen diverse Vorteile gegenüber PVB, etwa für Niedertemperaturanwendungen oder hinsichtlich der geringeren Empfindlichkeit gegen Feuchte.

Neuartige Verkapselungs- und Verbundglasfolien auf EVA-Basis eignen sich damit gut für aktuelle Trends in der Architektur, wo leichtere und dünnere Gläser gefragt sind. Immer häufiger müssen die Materialien auch besonders herausfordernden Umgebungsbedingungen trotzen, etwa hoher UV-Einstrahlung, extremen Temperaturen, häufigen Stürmen, großen Schneelasten, besonderen statischen Anforderungen in Erdbebengebieten oder Voll- und Sprühwasserkontakt mit sowohl Süß- als auch Salzwasser.

»Um diesem Bedarf zu begegnen, wollen wir die Vorteile von EVA-Materialien weiter auf die speziellen Anforderungen des Glasbaus anpassen. Dafür sind umfangreiche Forschungs- und Entwicklungsarbeiten hinsichtlich optischer, thermischer und mechanischer Eigenschaften nötig, die wir mit der Entwicklung von Simulationstools zur Vorhersage des Materialverhaltens von Verbundgläsern bei verschiedensten Beanspruchungen verbinden werden«, sagt Ringo Köpge, Projektleiter am Fraunhofer CSP.

Drei Anwendungsfälle nehmen die Projektpartner in den Blick. Im Fokus steht erstens die Gewichtsreduzierung, wobei auf einen grundsätzlichen Effekt beim Einsatz von Laminaten gesetzt wird: durch die geeignete Verbundfolie können die Eigenschaften von lasaminaten, verglichen mit monolithischen Gläsern gleicher Stärke, signifikant verbessert werden, ohne auf die Sicherheitseigenschaften sowie die Oberflächeneigenschaften der Gläser verzichten zu müssen. Im zweiten Anwendungsfall soll die Widerstandsfähigkeit gegenüber Temperaturwechseleffekten, Hagelschlag, Tau oder Vereisungen ermittelt und verbessert werden, beispielsweise durch eine passende Auswahl von Folienmaterial und -stärke, die Nutzung von Additiven oder die Kombination von EVA mit anderen Kunststoffen.

Der dritte Schwerpunkt zielt auf einen Nachteil, den Sicherheitsgläser aus EVA-Glaslaminaten momentan noch haben können: Sie sind nicht immer hochtransparent, sondern können eine Resttrübung haben. Die Ursachen für diesen Effekt sollen im Projekt unter verschiedenen Umgebungsbedingungen mit spektroskopischen, thermischen und materialwissenschaftlichen Methoden auf Mikro- und Nanometerebene aufgeklärt werden, um darauf aufbauend Möglichkeiten zur Beeinflussung und Eliminierung dieses Phänomens erarbeiten zu können. Das Fraunhofer CSP ist mit seiner langjährigen Erfahrung im Bereich Analytik und Charakterisierung von Polymermaterialien, dem Prozessieren von Laminaten sowie der Simulation von Verbundsystemen bestens für solche Fragestellungen gewappnet. Zudem kann auf die Erkenntnisse aus einem Vorprojekt gebaut werden, in dem bereits neuartige Verkapselungsmaterialien für den Einsatz in extremen Klimazonen erforscht wurden.

Die Projektpartner werden zunächst ein Anforderungsprofil an neuartige Verkapselungs- und Verbundglasfolien definieren und dafür dann Lösungen im Labormaßstab entwickeln, die anschließend in den Technikums- und Industriemaßstab überführt werden sollen. Für die Materialkombinationen zu Beginn der Entwicklung, Folien, Laminate und die schließlich angestrebten Demonstratoren sollen jeweils Charakterisierung, beschleunigte Alterungstests sowie die Überführung in geeignete Simulations- und Vorhersagemodelle erfolgen. So werden auch Aussagen über das Langzeitverhalten und eine Übertragung auf andere Materialien möglich.

Vielfältige Fragen sind dabei zu klären: Wie entstehen Risse? Wie breiten sich Schädigungen aus? Wie reagieren die EVA-Verbundgläser auf Salzwasser oder Temperaturen von -60 °C und tiefer? »Wir werden die Performance des Materials – vom Verformungsverhalten bis zur Festigkeitsbewertung – ebenso detailliert untersuchen wie die Verarbeitungseigenschaften und die Prozessparameter bei der Herstellung, etwa Viskosität und Vernetzungsverhalten von Folien oder Schmelzdruck und Temperaturprofil der Schmelze. Nur so kann es gelingen, das neuartige Verbundsicherheitsglas mit den gewünschten Eigenschaften zu entwickeln«, beschreibt Köpge die Bandbreite der Projektinhalte.

Das Folienwerk Wolfen verwendet die EVA-Verbundfolie evguard® bereits in der Fertigung von Glaslaminaten, die für absturz- oder einbruchsichere Verbundsicherheitsgläser, Fassadenbestandteile, gebäudeintegrierte Photovoltaik oder als dekorative Elemente oder Bauteile für den Fahrzeugbau genutzt werden. Das Institut für Mechanik der OvGU wird umfangreiche theoretische und numerische Untersuchungen unter Einbeziehung der im Projekt gewonnenen experimentellen Daten vornehmen, um auch komplexe Schädigungsvorgänge wie Rissinitiierung, Rissinteraktion, Rissmuster und Delamination simulieren zu können und aus diesen Ergebnissen ein Software-Tool zur Vorhersage des Materialverhaltens zu entwickeln.

Nicht zuletzt sollen im Projekt auch geeignete Kriterien für Normung und Prüfvorschriften entwickelt werden. Die derzeit vorhandenen Berechnungsmodelle, Normen und Standards sind oft geprägt von nationalen Anforderungen und können besondere klimatische Lastenfälle nicht vollständig abdecken. Köpge: »Hier wollen wir Lösungsansätze finden und damit auch die Materialentwicklung insgesamt erleichtern.«