Wie Autos Pfunde verlieren

Automobil Herstellung Anfertigung Leichtbau
© Fraunhofer IMWS
In der Spritzgussmaschine KM3200 wird ein Pkw-Frontendträger hergestellt.

Leichtbau ist einer der wichtigsten Trends in der Autoindustrie. Weniger Gewicht bedeutet schließlich weniger Spritverbrauch und weniger Umweltbelastungen. In Schkopau arbeiten Fraunhofer-Forscher an den passenden Technologien dafür. Dabei spielen winzige Fasern in Kunststoffen eine große Rolle – und riesige Maschinen.

Die Anlage, um die es im Folgenden gehen wird, ist größer als das Büro eines Vorstandsvorsitzenden. Sie ist auch größer als alle Autoteile, die sie herstellt. Jedoch ist sie dafür da, Prozesse zu vereinfachen, Bauteile leichter zu machen. Ihr Name ist KM 3200 – 24500 MX IMC. Und für den Automobilbau ist sie eine Revolution. Doch davon später mehr.

Stellen wir uns das Auto der Zukunft vor: Es soll uns immer den richtigen Weg weisen, vielleicht fährt es sogar von selbst. Durch den Elektromotor rollt es höchst geräuscharm und sparsam über unsere Straßen. Ach ja, höchsten Komfort soll es auch noch bieten: Entertainmentsysteme, Massagesessel, Klimaanlage. Doch diese Vorstellung enthält mehrere Widersprüche: Zusätzliche Bauteile für Komfort und Sicherheit verbrauchen Strom und machen das Auto schwerer, E-Autos benötigen momentan noch ziemlich schwergewichtige Akkus. Um mit wenig Energie auszukommen, sollten Autos jedoch leicht sein.

Um diese physikalischen Gegensätze aufzulösen, sind die Forscher am Fraunhofer-Pilotanlagenzentrum in Schkopau bei Leipzig dabei, die Bauteile eines Autos immer leichter zu machen. Dabei setzen sie auf den Einsatz von speziellen Kunststoff-Verbindungen, sogenannte Faserverbundwerkstoffe. Experten nennen diese Teile UD-Tapes, also faserverstärkte Hybridstoffe aus zwei oder mehreren Materialien, vor allem aus Kohlenstofffaser, Glasfaser oder naturfaserverstärkten Kunststoffen.

Leiter der Abteilung Polymeranwendungen ist Professor Peter Michel, ein gebürtiger Ostwestfale, der neben seiner Tätigkeit in Schkopau auch noch an der Hochschule in Merseburg unterrichtet. Er und sein Team wissen, wie Autos entscheidende Pfunde verlieren. Die Grundidee lautet: Leichter Kunststoff statt schweres Metall. In den vergangen Jahren haben sie erforscht, wie man Kunststoffmaterialien so gestalten und herstellen kann, dass sie den hohen Belastungen und extremen Bedingungen im Auto gewachsen sind. Ihr Ansatz: Die Verstärkungsfasern werden so ausgerichtet, dass sie genau dort, wo ein Bauteil besonders belastet wird, für optimale Steifigkeit und Festigkeit des Materials sorgen.

So erreichen sie eine Performance, die mindestens ebenbürtig mit Aluminium oder Stahl ist, jedoch bei weitaus weniger Gewicht. Das spart Emissionen und erhöht die Sicherheit der Fahrzeuginsassen. Doch Michel will noch weiter: »Wir wollen nicht nur Metalle durch Kunststoffe ersetzen, sondern über gänzlich neuartige Verbindungen nachdenken. Hybride Kunststoffe bieten viele Möglichkeiten«, beschreibt er die Potenziale.

Rund ein Viertel des Autos besteht bisher durchschnittlich aus Kunststoff – Modelle wie der BMW i3 bringen es derzeit auf 40 Prozent. Um diesen Wert noch zu steigern, kommt es nicht nur auf die Fachkompetenz der Forscher, sondern auch die richtigen Maschinen an. Dazu sind KraussMaffei, einer der führenden Anbieter von System- und Verfahrenslösungen in der Spritzgießtechnik, Reaktionstechnik und Automation weltweit, und das Fraunhofer-Pilotanlagenzentrum eine besondere Verbindung eingegangen. »Wir haben nicht nur eine Kunden-Dienstleister-Beziehung. Wir sind im besten Sinne gegenseitige Entwicklungspartner«, sagt Dr. Karlheinz Bourdon, Senior Vice President Technologies bei KraussMaffei.

Und hier kommt die KM 3200 – 24500 MX IMC von KraussMaffei ins Spiel. Sie  ist seit 2007 das Herzstück der Leichtbau-Aktivitäten am ehemaligen Standort der Buna-Werke. »Zu DDR-Zeiten wurde hier Plaste und Elaste aus Schkopau hergestellt. Auf einem anderen Niveau passiert hier noch dasselbe«,  sagt Michel bei einer Besichtigung der Anlage. Es hat sich hier viel Positives getan in den vergangenen 25 Jahren.

Die mächtige Spritzgießanlage, deren Kern ein Zweischneckenextruder ist, compoundiert Kunststoffe und verschiedene Zusatzstoffe und füllt gleichzeitig das Werkzeug. Frühere Anlagen brauchten dafür zwei Vorgänge. Erst wurden die Ausgangsstoffe zusammen mit den Additiven aufgeheizt und nach der gewünschten Reaktion wieder abgekühlt. Das erkaltete Granulat wurde dann in der Spritzgießmaschine in die entsprechende Form gebracht, also erneut erhitzt und zum fertigen Bauteil verarbeitet.

KraussMaffei hat diese Direktverarbeitung im sogenannten Spritzgießcompounder eigens entwickelt, erzählt Bourdon. »Mit diesem Verfahren können die Anwender nicht nur 50 Prozent der Energie sparen, sondern auch ihre Werkstoffe schonen«, sagt er. Relativ empfindliche Materialien wie die Glasfaser werden nur einmal angefasst und behalten somit ihre hohen mechanischen Fähigkeiten. Für alle namhaften deutschen Automobilhersteller entwickeln die Forscher in Schkopau somit hybride Kunststoffbauteile wie Frontendträger aus Polypropylen und Langglasfaser, Türmodelle, Motorenabdeckungen und Instrumententräger. Dabei können faserverstärkte Bauteile günstig hergestellt werden, die sehr lange Fasern aufweisen. Zusätzlich zur Spritzgießtechnik verfügt KraussMaffei über jahrzehntelange Erfahrung, um eine Systemintegration für den Kunden sicherzustellen.

Mittlerweile hat der Spritzgießcompounder von KraussMaffei im Fraunhofer-Pliotanlagenzentrum über 2000 Tonnen Kunststoff verarbeitet. Die Anlage im Pilotmaßstab erleichtert Kunden die Übertragung von Forschungsideen aus dem Labor hin zur kommerziellen Anwendung. »Wir liefern hier Grundlagenforschung im Auftrag der Industrie. Die Ergebnisse lassen sich für industrielle Zwecke erweitern«, erklärt Michel. Upscaling nennt sich dieser Prozess. Diese Ergebnisse fließen in das Auto der Zukunft ein, wenn beispielsweise in Elektroautos durch Kunststoff-Bauteile das zusätzliche Gewicht der schweren Batterien ausgeglichen werden kann.

Und in der Kombination aus hochrangiger Auftragsforschung und Spitzentechnologie hilft die Anlage auch, ihren Teil zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland beizutragen. »Wir befinden uns seit längerer Zeit nicht mehr nur in einem Wettbewerb um die Produktionskosten mit den sogenannten Niedriglohnländern«, sagt Bourdon, »zunehmend kämpfen wir als Standort Deutschland auch um die Technologieführerschaft. Wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen, müssen wir vor allem in den Verfahrenstechniken führend sein«. Bourdon stellt einen einfachen Zusammenhang her: Da die deutsche Wirtschaft eng mit dem Erfolg der Automobilwirtschaft verflochten ist, sind innovative Lösungen für eine nachhaltige Mobilität eine zentrale Herausforderung für den Erhalt unseres Wohlstands. Genau mit diesem Ziel wird die KM 3200 – 24500 MX IMC in Schkopau weiter produzieren.